Neulich in Champlitte

Durch Champlitte kommt man eher zufällig, denn dieses malerische Örtchen in der französischen Region Franche-Comté liegt eher abseits touristischer Pfade. Der Ort ist aber einen Besuch wert: nicht nur wegen seines Weines, der dort (wieder) angebaut wird, sondern wegen eines Museum, dem Musée d’Art et Traditions populaires, 1957 gegründet von Albert und Félicie Demard. Das Museum gehört zu einem Verbund von drei Departementsmuseen und ist seit den 1960er Jahren im Schloss von Champlitte untergebracht. Die Gemeinde mit etwa 1500 Einwohnern und liegt ca. 50 Kilometer nördlich von Dijon. also in einer eher ländlichen, ursprünglich sehr reichen Gegend. Seit dem 13. Jahrhundert stand hier bereits ein Schloss der Familie de Vergy. Im Laufe der Jahrhunderte wurde es öfters abgerissen, niedergebrannt und wieder aufgebaut. So, wie sich das Gebäude heute präsentiert, stammt es zum großen Teil aus dem 18. Jahrhundert. 1825 verließen es die letzten adligen Besitzer und verkauften das Gebäude an die Gemeinde; seitdem waren dort Rathaus und Schule untergebracht. Dann zog das Museum ein, dessen Sammlung sozusagen en famille entstanden war: Albert Demard aus Champlitte, seine Frau Félicie, (die beide inzwischen verstorben sind), und nun deren Sohn Jean-Christophe widmeten sich ihrer Heimat, indem sie die materielle Kultur zusammentrugen. Interessant dabei ist, dass die Demards keinen (bildungs)bürgerlichen Hintergrund hatten, sondern, wie man so schön sagt, aus einfachen Verhältnissen stammten und das Sammeln ihre große Leidenschaft war.Der Zugang zum Museum ist eindrucksvoll: Um den Eingang zu erreichen, muss erst der imposante Ehrenhof überquert werden. Mit einem Audio-Guide in der Sprache unserer Wahl versehen, machen wir uns dann im Innern auf den Rundgang. Zunächst werden wir durch Räume geleitet, die mit Beständen der letzten Schlossbewohner eingerichtet sind. Die Referenz an den Ort ist nicht verwunderlich, denn das gehört dazu: Räume mit zerschlissenen Fauteuils, einer Bibliothek, Tischchen und Porträts der vormalige Besitzerfamilie. Was uns anschließend erwartet, ist eine Art in Räume gestopftes Freilichtmuseum – denn das Schloss ist sehr geräumig. Wir werden in einem Zickzack- Kurs in die verschiedenen Stockwerke gelotst, die mit Inszenierungen des Lebens in der Franche-Comté Ende des 19. Jahrhundert/Anfang 20. Jahrhundert gefüllt sind. Ein Interieur reiht sich an das andere. Natürlich fehlen auch die lebensgroßen Puppen nicht, die auf Stühlen an Tischen sitzen und die Besucherin starr fixieren. Einzelne Raumfolgen sind einem Thema gewidmet, wie „Soziales Leben“, „Wohnen“ oder „Handwerk“; alle sollen sie das ländlich-dörfliche Leben der Region widerspiegeln. So wandern wir von einem Schulzimmer in einen Lebensmittelladen, von der Hutmachwerkstatt in eine Scheune. Die Raumtexte geben immerhin mehr wieder als die knappe Zusammenfassung des Audio Guides, sind aber nur auf französisch. Objekttexte sind selten, und wenn sie vorhanden sind, dann sind sie sehr kurz. Ob es sich um komplette Interieurs handelt oder um im Nachhinein zusammengestellte Szenen, wird nicht immer klar. Natürlich sind auch Kleinode dabei: etwa eine Zahnarztpraxis aus der Zeit der Jahrhundertwende, die sehr modern wirkt und frappierend an die gegenwärtigen erinnert. Kurios sind die „chambres du terroir“, eine hommage an die Museumsgründer. Mehrere Inszenierungen sollen das Wohnen auf dem Bauernhof visualisieren. Die Demards hatten die Objekte in den 1950er Jahren in der Nähe von Champlitte gesammelt. Manche Stücke haben eine besondere Geschichte, auf die uns der Audio-Guide aufmerksam macht, leider fallen dadurch andere weg. Durch wie viele Räume wir uns gekämpft haben, weiß ich nicht mehr – am Ende konnte ich keine Blechdosen, Hutmachermodelle oder Dreschflegel mehr sehen. Natürlich habe ich auch ein paar Dinge gelernt: etwa, dass im Hospiz des 19. Jahrhundert mit blau und rot gestreifter Bettwäsche zwischen Protestanten und Katholiken unterschieden wird. Oder dass in der Region Hanf zur Textilherstellung angebaut wurde und heute noch wird, wovon wir uns selbst überzeugen konnten. Während wir im Schloss die alten Marionetten, Kegel und einen Schaustellerwagen anschauen, die während der Fêtes paroissiales (Pfarrfeste) im 19. Jahrhundert eingesetzt wurden, dröhnt unten vom Kirchplatz die Musik des Autoscooters des diesjährigen Festes herauf. Ich frage mich, ob ein „Box-Auto“ (so hieß das bei uns) auch mal im Schloss landen wird? Wahrscheinlich eher nicht, denn ich habe keinen Hinweis darauf gefunden, dass das Museum Sammlung und Präsentation in irgendeiner Weise kritisch reflektiert. Die durchaus interessante Sammlung wurde einfach ins Schloss hineingestellt, wo und wie sie gerade passte. Allein durch den Ort – ein Schloss- erfolgt eine gewisse Brechung, da man in einem Gebäude mit feudalherrschaftlichem Charakter keine Alltagskultur erwartet. Aber das Staunen kommt irgendwann während des Rundgangs abhanden. So wird ein heiles Bild der ach so schönen Vergangenheit konstruiert: in jedem Dorf gab es einen Laden, eine Schule, der Töpfer hat getöpfert, der Bauer Hanf angebaut und im Café wurde getrunken. Also: ein kurioses Museum mit interessanten Objekten und hohem Nostalgiefaktor. Leider auch ein Beispiel dafür, wie man es heutzutage eigentlich nicht mehr machen sollte – auch nicht in der sogenannten Provinz.

Kategorie: Frankreich, Volkskunde

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