Unter Tieren

Dem Kollegen Jörn Borchert gefiel ja die Ausstellung Bêtes et Hommes in Paris ungemein.
Auch ich war zunächst angetan von der Idee und Umsetzung. In der ehemaligen Viehhalle von la Villette geht es um Tiere und Menschen und ihre Beziehung zueinander, und es geht vor allem um den Perspektivenwechsel, den der Blick des Menschen auf das Tier vollzieht oder bereits vollzogen hat. Dieser Perspektivenwechsel wird auf verschiedenen Ebenen präsentiert: mit zeitgenössischer Kunst wie Fotografien, Filme, Gemälde oder Skulpturen, hinzu kommen Filme, Objekte, Toninstallationen und lebenden Tiere, alle vereint in einer „spektakulären Szenographie“ wie die Ausstellungsmacher ankündigen. Die einzelnen Themen sind in einer Vielzahl von zeltähnlichen Gebilden untergebracht; zwischendurch stösst man auf Installationen – etwa ein Sofa, dessen Form an einen Dackel erinnert oder auf lebende Tiere wie Aasgeier oder Leguan. Die Ausstellung ist in vier Kapitel – (Die Tiere verändern die Menschen, Das Tier ist für den Mensche ein Fremder, Tiere haben einen Beruf und Tiere erfordern eine Wahl) aufgeteilt. Da aber die Zuordnung über weit oben an der Decke hängende Leuchschriftbuchstaben erfolgt, bemerkt man sie eigentlich nicht. In der Ausstellung ist es eher dunkel, die Geräuschkulisse eigentlich ertragbar. Ob Vogelgezwitscher und andere Tierstimmen Toninstallationen sind oder die von den dort gezeigten Tieren, konnte nicht ausgemacht werden. Man folgt den Nummern an den Zelten und findet darin zuweilen schöne Installationen wie zum Thema „Tiere in der Stadt“ vor, aber manchmal auch nur einen langen Text, ein paar Hocker und einen Bildschirm. Ich habe gelernt, dass Umwelt auch Umwelt auf französisch heißt. Ich habe ausgezeichnet gemachte Filme gesehen, die äußerst unterhaltsam tierische Verhaltensweisen erklärten. Aber nach dem Zelt 18 (es gab über 30) ungefähr wollte ich keine Filme mehr sehen, keine langen Texte mehr lesen. Auch wenn die Inszenierungsidee charmant war – es war einfach zuviel. Ich hatte erst oder schon? nach der Hälfte der über 3500 qm Ermüdungserscheinungen.
Deswegen vermittelten mir in der zweiten Hälfte der Ausstellung manche der abgehandelten Themen das Gefühl, das sie einfach aus Platzgründen hier noch gezeigt wurden. Ich hätte mir mehr interaktive Möglichkeiten gewünscht, mehr Dreidimensionales, mir gab es zuviele Bildschirme. Und es war zu dunkel und zu kalt. Vielleicht wäre alles besser gegangen, hätte ich zwischendurch mal einen Café trinken können, doch dazu hätte ich die Ausstellung verlassen müssen und theoretisch nochmals Eintritt zahlen müssen.
Unbestritten: das Thema ist wichtig. Die Ausstellung bietet eine neue Sicht auf den Umgang mit dem Tier, wie das etwa hier im Blog Esprits animaux beschrieben wird. Nur mit der Realisierung hatte ich Probleme. Ich finde es interessant, wenn sich die „harten“ Wissenschaften der Kunst bedienen. Nur war mir der Grund der Auswahl manchmal nicht klar: Was will mir ein Dackelsofa sagen? Weshalb die vielen Tierfotos und Videos? Weshalb begrüßte mich eine kauende Kuh auf Video und verabschiedete mich eine Eule? Das war mir manchmal zu beliebig, und ich hatte den Eindruck, einzig das Kriterium „KünstlerIn beschäftigt sich irgendwie mit Tieren“ zählte.
Im Gegensatz zu anderen Pariser Ausstellungen hatte man hier allerdings genügend Platz, um sich alles in Ruhe anzuschauen. Man sollte aber französisch können; ich habe keinen anderssprachigen Text gesehen, was für eine Ausstellung in dieser Größenordnung ein großes Manko ist.
Die Ausstellung kommentiert in Le Monde und in Le Figaro

Kategorie: Frankreich, Paris

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