Das Museum am südwestlichsten Zipfel Europas

Was macht man mit einem verlassenen Dorf? Natürlich ein Museum. So geschehen in Guinea, das auf der kleinsten Kanareninsel El Hierro liegt. Das Ecomuseo Guinea möchte Architektur und Wohnformen vermitteln. Die Siedlung geht auf die Zeit der ersten europäischen Eroberer zurück, die ab dem 15. Jahrhundert auf der Insel kamen. An dem Ort hatten bereits die Ureinwohner gesiedelt, die wohl die langen Lavastollen für sich und ihre Tiere nutzten. Über sie weiß man nur wenig; die Thematik der Eroberung scheint heute kein Thema mehr zu sein. Während der Führung – nur so kann man Guinea besichtigen – sind vier Häuser von innen zu sehen; sie sollen den Alltag des 17. bis 20. Jahrhunderts illustrieren. Arbeitsgeräte, einfaches Essgeschirr und Betten mit Strohmatratzen füllen die kleinen Räume aus.Die Führerin bemüht sich, etwas vom alltäglichen Leben zu erzählen; die Überlieferung wird aber nicht offengelegt. Die Einrichtungen der Häuser ähneln sich, Zeit und Raum verschwimmen, die Gegenstände erscheinen freilich, je näher wir an die Gegenwart rücken, etwas moderner. Während im letzten Haus etwa Porzellangeschirr zu sehen ist, finden sich in den anderen Schüsseln aus Holz. Kurios ist die gewebte Tragevorrichtung für Frauen mit einem Durchschlupf für den Kopf. Die Einrichtungsgegenstände hinterlassen einen schwammigen Eindruck; die chronologische Einteilung lässt sich nicht überprüfen, noch lassen sich soziale oder ökologische Kriterien nachvollziehen. Hier erinnert das Ecomuseo an auch bei uns gängige Praktiken in deutschen Freilichtmuseen, die „gute alte Zeit“ zu beschwören. Diese pittoreske Tendenz wird noch mit dekorativ auf den Mauern liegenden Kürbissen, Blumentöpfen und (leeren) Vogelkäfigen verstärkt.

Die Besucherin nimmt dennoch wahr, dass das Leben hier zu keiner Zeit leicht gewesen sein konnte. Durch die Zeit hinweg wurde sehr einfach und beengt gelebt; die Häuser aus Lavasteinen haben nur einen Raum, kleine Fenster- und Türöffnungen und ein aus Roggenstroh gedecktes Giebeldach. Mauern aus Lavasteinen markierten die Hausgrenzen, dienten aber auch dazu, Wind geschützt Gemüse anbauen zu können sowie die eigenen Tiere einzusperren. Genügend Wasser zu haben, war das größte Problem: wie das dritte Foto zeigt, konstruierte man große, weißgekalkte Flächen, um möglichst viel Regenwasser aufsammeln zu können. Da die Nahrung knapp war, wurde geteilt: nicht mit den Nachbarn, sondern mit den Tieren. Besondere Aufmerksamkeit erzielte die Führerin mit dem Hinweis auf die kleine Stall-Toilette – mit dieser baulichen Konstruktion wurde das Schwein gefüttert.

Ich hätte mir fundiertere Informationen und mehr Geschichte gewünscht, sei es zu den ersten Besiedlern und zur spanischen Eroberung, zum Klima, zu den Abholzungen der Wälder, zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, zum Geschlechterverhältnis und zu Kultur, eben etwas, was den Grundgedanken des Ecomusée charakterisiert.

Doch die meisten BesucherInnen kommen aber nicht wegen der Häuser, sondern wegen der Rieseneidechse, die es einmal auf EL Hierro gab und deren Unterart hier nachgezüchtet wird, um sie wieder auszusiedeln. So findet der erste Teil der Führung in der Zuchtsation der Eidechsen statt. Sowieso ist es relativ sicher, dass jede InselbesucherIn auch das Museum bzw. die Zuchtstation besucht – es ist, neben dem ethnographischem Zentrum, das einzige auf der Insel. Und es ist das südwestlichste Museum Europas, kurz vor dem Ende der Welt – denn hier verlief einmal der Nullmeridian. Insofern hat es sich natürlich voll gelohnt.

Ecomuseo de Guinea, Carretera Gral. de Las Puntas s/n Frontera, El Hierro (Spanien)

Kategorie: Ecomusée, Freilichtmuseum, Spanien, Volkskunde

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