Aus dem Monte Verità soll der Monte Visione werden
Monte Verità – das ist jetzt schon über ein Jahrhundert das Synonym für einen mythischen Ort, auf einem Berg oberhalb von Ascona in der Schweiz, am Lago Maggiore. Dort hinzufahren und eine Weile zu bleiben, war in bestimmten Schichten ein regelrechtes Muss.
Auf dem Gelände sind sie heute noch zu sehen, die Spuren, die die verschiedenen Mythen-MacherInnen hinterlassen haben: Zunächst die LebensreformerInnen um Ida Hoffmann und Henri Oedenkoven, Karl und Gusto Gräser, die um 1900 auf dem Berg eine Kolonie gründen, zunächst sogenannte Laub- und Lufthütten bauen. Bis 1920 harren die GründerInnen aus, bauten weitere Gebäude und eine Naturheilanstalt und zogen viele weitere AnhängerInnen der Naturheilbewegung nach, SchriftstellerInnen, Künstlerinnen, kurz Aussteiger und Aussteigerinnen aus dem bürgerlichen Leben. 1920 geht diese Phase zu Ende, die Anlage zerfällt. Dann wollten KünstlerInnen um Werner Ackermann das Gelände gestalten, was aber nur kurze Zeit gelingt.
1926 tritt der Wuppertaler Bankier und Mäzen Baron Eduard von der Heydt auf den Plan: er lässt von dem bekannten Architekten Emil Fahrenkamp ein Hotel bauen. Mit von der Heydt zieht der internationale Jet Set der gehobeneren Kreise ein – im Grunde wurde der Berg gentrifiziert. Nicht nur die Reichen und Mondänen kamen, sondern etwa auch die Kunstinteressierte wie der französische Museologe Georges Henri Rivière, der 1933 im Hotel weilte und begeistert von den vielen Kunstwerken zeitgenössicher Künstler berichtete. 1934 wird das Hotel geschlossen, der Zweite Weltkrieg verhindert weiteres. Nach dem Tod von von der Heydt geht das Terrain an den Kanton Tessin. Seit 1989 veranstaltet die ETH Zürich im Hotel Kongresse.
1978 wird der Berg wieder entdeckt – vom Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann. Mit der Ausstellung „Mammelle delle verità“, die auch an verschiedenen Orten in der Schweiz und in Deutschland gezeigt wurde, bringt er wieder Schwung in die Mythenmaschinerie. Die Ausstellung war dann fest in der Casa Anatta auf dem Monte Veritá beheimatet. Nun ist sie bis voraussichtlich 2012 geschlossen. Die Stiftung Monte Verità plant zusammen mit dem Kantonalamt für Denkmalschutz ein großes Restaurierungs- und Umgestaltungsprojekt für Museum und Gelände. Schon umgesetzt wurden verschiedene Installationen. Ebenso gibt es ein japanischen Teehaus, in dem Teezeremonien angeboten werden. In einer Lichthütte aus der anfangszeit stellt die Stiftung die bisherige Geschichte kurz vor und lädt die BesucherInnen dazu ein, eigene Ideen für die künftige Gestaltung und Nutzung des Parks und des Museums zu benennen damit aus dem Berg der Wahrheit der Berg der Visionen werden kann.
Noch zwei Literaturtipps (weitere sind auf wikipedia zu finden). Unverzichtbar ist das Katalogbuch zur Ausstellung von Harald Szeemann: Monte Verità. Berg der Wahrheit. Lokale Anthropologie als Beitrag zur Wiederentdeckung einer neuzeitlichen sakralen Topographie. Agentur für geistige Gastarbeit, Harald Szeemann, Civitanova Marche und Tegna, und Electa Editrice, Milano 1978. Hier kann man einen Artikel von Erich Mühsam über seine Zeit auf dem Monte Verità lesen.
Wer deftige Anekdoten möchte und ausführliche Erzählungen über den Alltag, der sollte das Buch von Robert Landmann lesen: Ascona – Monte Verità. Die Geschichte eines Berges, Ascona Pancaldi Verlag 1930. 2000 neu herausgegeben im Schweizer Verlag Huber Frauenfeld . Hinter Landmann verbirgt sich übrigens der Künstler Werner Ackermann.
Geschrieben von Nina Gorgus am 23. Oktober 2009 10:05