Auf zur museologischen Bildungsreise nach Neuchâtel

Wenn ich eine Ausstellung des Jahres wählen dürfte, dann wäre diese ganz vorne mit dabei: Parce queue. Wenn man das etwas verkürzt ausspricht, hört sich das an wie Warum? – es geht um la queue, um den Schwanz – mit all seinen Bedeutungen.

Warum gerade der Schwanz? Einiges erklärt sich dadurch, dass wir im naturwissenschaftlichen Museum, sind, genauer im Muséum d’histoire naturelle von Neuchâtel.
Ausgehend von dem Satz von Charles Darwin aus in der Evolotionstheorie „Schon wenn ich den Schwanz eines Pfaus sehe, wird mir schlecht“, wird hier die Geschichte des Schwanzes aufgerollt, in der Evolution, aber auch in der Kulturgeschichte – mit mit all den Doppeldeutigkeiten, die dem Wort zu eigen ist. Das ist so pfiffig, so spannend und kurzweilig gemacht, das man am Ende der Ausstellung – wo ein sprechendes Sperma den Abgang erleichtern soll – so richtig enttäuscht ist, dass sie schon zu Ende ist.

Doch von vorne: Wir sind in einem naturwissenschaftlichen Museum, deshalb fängt man hier von vorne an – bzw. nach einer Installation von schwanzartigen Gebilden sind wir beim Fisch angelangt, dessen Schwanzflosse in der Evolotion am Anfang steht. Kleine Fische schwimmen in Aquarien, Tafeln erläutern Grundlegendes. Schön ist hier die gestalterische Idee, darzustellen, wie die Menschen die Natur imitieren – in Form von Plastikfischen.

Danach geht es eher klassisch zu: das heisst, die Evolution der Schwänze wird mit Tierskeletten visualisiert, und erklärt, warum der Menschen keinen Schwanz bzw. nur den Rest davon aufweist. Man erfährt auch, wofür Schwänze im Tierreich eigentlich gut sind. Die vielfältigen Funktionen werden mit Gegenständen aus der menschlichen Sphäre erklärt – wie das Paddel für den Biber oder die Krücke für das Känguruh. Und man erfährt, das Schlangen – von denen man sich einige lebende Exemplare in Terrarien anschauen darf, nicht nur aus einem Schwanz bestehen und wofür Vögel den Schwanz brauchen.

Die nächste Ausstellungssektionen beschäftigen sich mehr mit den kulturellen Bedeutung des Schwanzes. Im comic-artigen Wohnzimmer mit aufgemaltem Fenster und Bildern kann man es sich mit Katze und Hund gemütlich machen, die Hauptdarsteller in verschiedenen Filmen sind. In verschiedenen kleineren Installationen geht es dann um die vielen Bedeutungsebenen von Schwanz – in der Kunst, im Märchen, in der Sprache oder in der Erotik. Es geht darum, weshalb der Mensch Tieren wie Hund oder Schwein den Schwanz abschneidet, zuweilen auch isst – sehr schön ist hier die Inszenierung des Ochsenschwanzes.
Es dreht sich auch darum, weshalb der Schwanz in Mythen so angstbesetzt ist. Dafür stehen der Drache oder der Schwanz des Teufels. Hinter vielen Gucklöchern sieht man die Erotik-Abteilung eines Züricher Antiquariats.
Und auch diese tierische Kuriosität wird einem in Erinnerung bleiben: Ratten, die sich mit dem Schwanz wärmen – und doch dabei gestorben sind.

Die Ausstellung ist interaktiv im besten Sinne – man muss sich schon mal bücken, um durch ein Guckloch den illuminierten Schwanz eines Zebras anschauen zu können oder man kann raten, was man da eigentlich vor sich hat. An anderer Stelle richtet die Besucherin selbst den Scheinwerfer auf die Vögel, klettert in Kuben und befindet sich dann in einer Comicwelt.

Eine wirklich hinreißende Ausstellung, ein sehr origineller Beitrag zum Darwin-Jahr!
Leider, leider gibt es keinen Katalog. Da hilft nur eines: selbst hingehen.
Wer im Museumsblog auch schon die Beiträge über die Ausstellungen Helvetia-Park und Retour d’Angola im Musée d’Ethnographie gelesen hat, weiss, dass diese Reise ein museologischer Höhepunkt sein wird. Bis Ende Februar 2010 bekommt man die drei Ausstellungen auf einen Streich. Die Ausstellung ist zweisprachig, auch die kleine, gerade im Umbau begriffene Dauerausstellung lohnt sich.

Die Ausstellung rezensiert in der NZZ.

Kategorie: naturwissenschaftliches Museum, Schweiz

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