Kunst und Terror




Im September auf der Biennale di Venezia

Nicht oft geht man durch eine Ausstellung und hat Angst, dass sich die Welt jeden Moment auf dramatische Weise verändern könnte. Mir ging es so, als ich am 5. September in Venedig die Räume der Arsenale auf der 52. Biennale di Venezia 2007 betrat. Das lag nicht unbedingt daran, dass es gleich am Eingang eine „Airplanecrashclock“ (1997) von Charles Gaines (USA) zu sehen gab, und andere Kunstwerke, die explizit das Thema „Terror“ aufgriffen – es lag schlichtweg daran, dass seit meinem letzten Besuch in Venedig, am 11. September 2001, die Welt tatsächlich nicht mehr dieselbe ist. Nie werde ich vergessen, wie an einem Café-Stand am Seitenausgang der Arsenale-Hallen Unruhe aufkam. Es war früher Nachmittag, und ich wollte einen stärkenden Espresso zu mir nehmen, doch niemand interessierte sich dafür. Alle hefteten ihre Ohren an ein Radio und rätselten in allen Sprachen, was da wohl passiert sein könnte. So ganz ließ sich nicht klären, was in New York los war, also wendete ich mich wieder den Ausstellungsräumen zu. Erst am Abend, als ich im Hotel die Bilder im italienischen Fernsehen sah, wurde mir bewusst, dass sich diese Aufnahmen tiefer in mein Bewusstsein brennen würden als alle Kunstwerke, die ich zuvor gesehen hatte. Bereits am nächsten Tag war ich froh, Venedig verlassen und nach Hause fahren zu können, Zwischenstopps auf dem Weg nach Hamburg hatte ich abgesagt.Im Vorfeld der 6. Jährung wurde ich wieder konfrontiert mit dem traumatischen Ereignis 2001, das niemand für möglich gehalten hätte. Wen wundert, dass sich inzwischen international Künstler damit auseinandergesetzt hatten, es auf vielfältige Weise mit sich, ihrer Gesellschaft oder Nation in Zusammenhang brachten. Unter dem Titel „Pensa con i sensi, senti con la mente“ („Denke mit den Sinnen, fühle mit der Seele“) ist nun in Venedig eine große Ausstellung mit über hundert Künstlern aus der ganzen Welt entstanden, in den Giardini della Biennale und im Arsenal von Venedig. Es sind (im Gegensatz zum Großteil der Werke auf der Documenta 12 in Kassel) Werke, die durch Klarheit und Sinnlichkeit überzeugen, die komplexe Sachverhalte auf einfache Weise visualisieren. Das macht gute Kunst aus, auch die zu „nine-eleven“. Cheri Samba aus dem Kongo etwa, der mit einigen Werken im italienischen Pavillon präsentiert wird, weist mit seinem apokalyptischen Bild „Après 11 Sept 2001“ darauf hin, dass der ausgebrochene Krieg auch einer der „Köpfe“ ist: Hautfarbe, Alter und Geschlecht spielen keine Rolle mehr, nur eine schwach leuchtende Kerze (die Religion?) darf nicht ausgehen, während der Kopf wild um sich schießt. Mounir Fatmi aus Marokko, zu sehen in der Afrika-Ausstellung am Ende der Arsenale, beschwört in seiner Klanginstallation „Save Manhatten 03“ (2006/07) – eine Stadt aus Audio-Boxen, die als Schatten die skyline von Manhatten an die Wand wirft und die Geräusche einer Stadt wiedergibt – die Normalität des Alltags zurück. Stark auch die Arbeit von Yang Zhenzhong aus China, der in seiner Videoinstallation “I will die”(2000-2005) Menschen aus aller Herren Länder ein memento mori abverlangt, indem er sie auf ihre persönliche Art und Weise diesen endgültigen Satz aussprechen lässt. Ruth Sacks aus Südafrika lässt in einer Videoarbeit ein Flugzeug am Himmel den Satz „Dont panic“ schreiben – ein Hoffnungsschimmer? Zumindest wurde mir auf dieser Biennale deutlich vor Augen geführt, dass es Bin Laden und Co. nicht gelang, die Kreativität und den Willen, an das Gute im Menschen zu glauben, auszumerzen. Es wird weiterhin internationale Biennalen geben, es wird weiterhin weltweit Künstler und ihr Publikum geben, die sich friedlich austauschen. Egal ob aus dem Orient oder Okzident.

Kategorie: Italien, Kunst, Venedig, zeitgenössische Kunst

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