Upside Down

Das Musée du Quai Branly (Paris) zeigt zur Zeit die Ausstellung „Upside Down – les Arctiques“. Doug Wheeler, amerikanischer Experimentalkünstler und Szenograph der Ausstellung und Edmund Carpenter, Filmemacher und Anthropologe, ihr Kommissär wollen sie bewusst ohne Kommentare um den Besucher zu einer virtuellen Wanderung durch die Polarwelt einzuladen. Einzige Informationsquelle, eine kleine Broschüre die Objektekartelle und andere Texte ersetzen soll.

Der Raum ist in bläuliches Licht getaucht, durch die grossen gefärbten Glasfenster sieht man schemenhaft die Bäume des umliegenden Gartens, die Vitrinen von unten mit Neonröhren erleuchtet erinnern an Eisblöcke, die Beschallung lässt den Wind auf den riesigen Eisflächen erahnen. Das alles sieht auf dem Papier chic und trendy aus. In der Realität gehen die Besucher ratlos (und fröstelnd) zwischen den Glaskästen herum, wissen nicht was sie sehen. Die Objekte, Masken, kleine Skulpturen, sind berührend schön, mit einer bewunderungswürdigen Finesse ausgeführt, fremdartig… Man möchte so vieles wissen. Man möchte wissen wer die Menschen sind die diese zauberhaften kleinen Eisbären geschnitzt haben, wer diese Masken trug und warum… das magere Heftchen gibt kaum Antworten, die zum Grossteil sehr kleinen Objekte sind oft auf Kniehöhe angebracht, die zur Verfügung gestellte Lupe macht die Frustration nur noch grösser. Warum nicht wenigstens ein kurzer Film im Eingangsbereich, der erlaubt die Gegenstände zu situieren, mehr über ihre Erzeuger und Benutzer zu erfahren? Ein Film wird dort allerdings gezeigt: ein Willkommentanz bei dem die Bilder auf dem Kopf stehen…
Der Quai Branly bleibt sich treu: „Volkskunst“ soll schön zum Anschauen sein, auf den Rest pfeift man!

Kategorie: Paris, Quai Branly

Verschlagwortet:

Bisher 7 Kommentare

  1. Jörn sagt:

    Nina, ich kann Deinen Frust nachvollziehen. Mir erging es vor etwa zwei Wochen ähnlich, als ich die Tropen-Ausstellung besuchte, die gerade im Gropius-Bau läuft. Auch da schöne Objekte und Räume ohne eine Aussage, die einen wirklich zum Weiterdenken anregen könnte.

    Offenbar gibt es in den großen Ausstellungshäusern der Welt gerade eine Tendenz, Verantwortung für Aussagen zu vermeiden, indem man sich künstlerisch gibt oder Altes mit Neuem so kombiniert, dass es auf den ersten Blick interessant erscheint, aber bei näherer Betrachtung nichts als belangloses BlaBla herauskommt. Nennen wir sie „Smoothie-Ausstellungen“. Ausstellungen, die gut schmecken, aber keinen nennenswerten Nährwert haben.

  2. Nina Gorgus sagt:

    lieber Jörn, der Beitrag stammt von Eva C-K! Ich werde mir die Ausstellung aber noch diese woche ansehen… gruss Nina

  3. Eva sagt:

    „Smoothie Ausstellung“ gefällt mir gut (ich trinke sie allerdings gerne!). Schön zum Ansehen aber letztlich sehr oberflächlich, für den „Zapping-Besucher“…
    Naja, mal sehen, wie die Ausstellung auf Nina wirkt!

  4. Nina Gorgus sagt:

    So, nun habe ich mir die Ausstellung angeschaut: und kann nur bestätigen, was Eva schon gesagt hat. Ich habe mich so über die unzureichenden Informationen geärgert; und damit auch über die Arroganz der Ausstellunsmacher gegenüber den BesucherInnen. Die Betonung des angeblich so Magischen und Zauberhaften der außereuropäischen Kunst verrät einmal mehr den eurozentrischen Blick des mqb, den es angeblich überwinden wollte.

  5. ladislaus sagt:

    Es ist ja schon wahr, dass Ausstellungen à la Musée du quai Branly nur „schön zum Anschauen“ sind und wertvolle Information vermissen lassen. Dass diese Kritik aber immer nur bei außereuropäischer Kunst kommt, für die ethnologische Erklärungen verlangt werden, halte ich aber für falsch. Zumindest bei antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen abendländischen Kunstwerken wäre eine deutliche Information über den „Sitz im Leben“ ebenfalls dringend notwendig. In einer Stadt wie Berlin ist ja nur noch ein ganz kleiner Prozentsatz der Bevölkerung überhaupt christlich, geschweige denn katholisch, und trotzdem werden den Besuchern Altäre, Heilige, Sakramente weitgehend ohne Erklärung vorgesetzt. Dem bildungsferneren Museumsbesucher ergeht es dann im Kunstmuseum genauso wie uns in der Polarausstellung. Daher halte ich den Ansatz Branly für ein durchaus notwendiges Korrektiv, um die Gleichwertigkeit außereuropäischer Kunst zu postulieren, solange Museen europäischer (Hoch-)Kunst nur „l’art pour l’art“ zeigen.

  6. Nina Gorgus sagt:

    die unzureichenden Informationen, über die ich mich geärgert hatte, betrafen hier ganz konkret die Ausstellung. Man wird mit einem Heftchen ausgestattet, in dem sich ein Plan und Texte befinden. Nun ist man die meiste Zeit damit beschäftigt – und den anderern BesucherInnen ging es gleich – im Plan erst einmal die numerierten Vitrinen zu lokalisieren (auch die Vitrinen in der Ausstellung zu nummerieren, wäre ja zu einfach) und dann den passenden Text dazu zu suchen. Hat man das dann geschafft, steht als Text vielleicht so etwas wie: Elfenbein, ca. 17. Jahrh. Darüber würde ich mich in jedem Museum ärgern. Und inwiefern das Museum als ein Korrektiv wirkt, hat sich mir auch noch in keinster Hinsicht entschlüsseln können.

  7. Eva sagt:

    Bin übrigens ganz einverstanden mit Ladislaus. Ich ärgere mich auch in Museen „europäischer“ Kunst über den intelektuellen Snobismus vieler Kuratoren die ein Museum ausschleisslich für Initiierte machen. Wer kann gerade heute schon voraussetzen, dass einem die dargestellten Heiligen, mythologischen Figuren oder auch historischen Persönlichkeiten oder Ereignisse geläufig sind. Da ist ebenso ganz dringend bessere Information zu liefern. Ich habe das übrigens in einem Beitrag über das Musée de monuments français zur Sprache gebracht. Wem nützt es zu wissen, wer die Abformung einer Statue gemacht hat und wann sie ins Museum gelangt ist? Was aber dargestellt ist, bleibt unerklärt…
    Das Wiener Kunsthistorische Museum hat da gute Arbeit geleistet: kurze Angaben erläutern die dargestellten Szenen.

Schreiben Sie einen Kommentar