Geschrieben von Nina Gorgus am 3. November 2009 10:42
Aufeinandergeschichtete Eiswürfelbehälter empfangen uns am Eingang des Raumes. Gleich darauf erkennen wir das Skelett eines Elches, einen Turm aus gelben Seiten und heimelig flimmern Flammen in aufgetürmten Monitoren – kein Zweifel – wir befinden uns in einer anderen Zeit. In welcher, ist jetzt nicht so wichtig; es geht um früher, als die Menschen noch um Feuer saßen, ihre eigenen Werkzeuge machten und ein komplett anderes Leben lebten. Wir befinden uns im Archäologischem Museum in Hamburg/Helms-Museum in Harburg, in dem seit Mai 2009 die neue Dauerausstellung des Archäologischen Museums gezeigt wird.
Im Erdgeschoss geht es um Archäologisches, im ersten Stock dann mehr um Hamburgensien. Durchbrüche in der Decke schaffen Verbindungen zwischen den Ebenen.
Gegenstände aus unserem Alltag der Gegenwart dienen der Ausstellung als Leitmotiv, als eine Art Türöffner, um sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Das reicht vom Feuer bis zur Glühbirne, vom Hünengrab über Leichenwagen zum Friedhof. Konnte man die Eiswürfelbehälter noch als gelungene Installation schätzen, muten die anderen Inszenierungen zuweilen wie ein dreidimensionales Videospiel an – man drückt und klickt sich durch die Ausstellung, klettert über Pappmaschée(?)-Felsen, stösst ab und zu auch auf Exponate unter Glas, die aus der früheren Zeit stammen, die man hier so anschaulich darstellen möchte (beim Besuch im Sommer 2009 fehlten allerdings noch immer die Objektbeschriftungen).
Unten beschäftigt man sich also mit Dingen wie sich fortbewegen, essen, wohnen und sterben, während man oben eher mit der Gegenwart bzw. jüngeren Vergangenheit mit Schwerpunkt auf Hamburg konfrontiert wird. Als Clou wohl gedacht ist ein überdimensionierter, dreidimensionaler U-Bahnfahrplan von Hamburg, den man sich erlaufen kann. An manchen Stationen ist ein Objekt aufgestellt, das damit in Verbindung steht. Dazu kann man sich eine Erläuterung anhören. Hören sich mehrere Besucherinnen verschiedene Stationen gleichzeitig an, erfüllt den Raum eine unglaubliche Kakophonie.
Im Hamburger Abendblatt heisst es über die Eröffnung: „Alles ist im neuen Museum stark auf die Zielgruppe der Kinder zugeschnitten. Sie sollen die Erlebnislandschaft begehen, die Objekte anfassen, einschalten und entdecken können.“ Dafür hat sich das Museum Experten geholt – die Spiele-Firma Ravensburger. Das Museum als Spiel für große und kleine Kinder, wie es immer so schön heisst?
Nachdem ich in der letzten Zeit schon einige (kulturhistorische) Ausstellungen gesehen habe, die so stark pädagogisch heruntergebrochen waren, dass man sie auch noch verstand, wenn man flüchtig Texte las und an Objekten und Inszenierungen vorbeischlenderte, frage ich mich so langsam, was man als erwachsene Besucherin im Museum eigentlich noch soll.
Das richtet sich auf keinen Fall gegen Interaktives in Museen oder Ausstellungen – das kann auch auf einer sehr gelungene Weise umgesetzt werden, wie etwa die Ausstellung Helvetia-Park im Musée d’Ethnographie in Neuchâtel zeigt. Ich gehe aber auch ins Museum oder in Ausstellungen, um etwas zu erfahren, Dinge zu sehen, die ich mir nicht vorstellen konnte, oder um Dinge anders zu sehen – schlichtweg, um mich mit Fragen zu beschäftigen, die ich mir vorher nicht so gestellt habe – ich suche eine intellektuelle Herausforderung.
In dieser Ausstellung werde ich unterfordert – wie jede erwachsene Besucherin und wahrscheinlich auch größere Kinder. Denn was nehme ich von diesem Besuch mit: Ein Becher sah vor zig-Jahren irgendwie auch schon wie ein Becher aus und das Leben war nicht einfach. Man hat im Prinzip dasselbe gemacht wie heute, nur mit anderen Mitteln. Buddelt man in Hamburg im Boden, findet man etwas Interessantes. Brauche ich für solche Aussagen gleich ein ganzes Museum bzw. eine Ausstellung?
Eine archäologische Erlebniswelt für die ganze Familie, so heisst es im Untertitel auf der Internetseite der Familie. Aber eine Familie besteht nicht nur aus (kleinen) Kindern.
Zur Eröffnung im Hamburger Abendblatt und in der taz.
Im Blog von Frank Lamers erfährt man aus den Kommentaren, dass es einen Urheberrechtstreit um die Konzeption der Ausstellung gab.