Figurinen XIV

Geschrieben von am 9. November 2009 15:05

Was für ein Idyll: Mutti rastet im Schnee, während sich der Nachwuchs sonnt. Und was macht eigentlich Vati? Das Familien-Diorama ist zu sehen im Skimuseum des Freilichtmuseums Sverresborg, Trøndelag Volksmuseum in Trondheim in Norwegen.

Die Sammlung in Szene setzen

Geschrieben von am 5. November 2009 09:47

Besucht man das Musée d’Ethnographie in Neuchâtel, dann weiss man, dass man sozusagen eine sichere Bank betritt (als diese noch sicher waren): Gute Ausstellungen sind hier garantiert.
Das betrifft nicht nur die hier schon vorgestellte Ausstellung Helvetia-Park, sondern auch die Präsentation der ständigen Sammlungen. Retour d’Angola, die seit Dezember 2007 laufende Ausstellung, ist allein deswegen sehenswert, da sie sich mit einer zentralen Frage in ethnographischen Museen auseinandersetzt: wie gehen wir mit unserer Sammlung um?

Die Ausstellung würdigt Théodore Delachaux (1879-1949), Schweizer Künstler und Sammler, zwischen 1921 und 1945 Konservator und Forscher am MEN. Delachaux organisierte und begleitete zwischen 1932 und 1933 die Forschungsreise nach Angola, um Objekte für das Museum zu sammeln.
Die Ausstellung möchte aber noch mehr: sie nimmt die ethnographischen Methoden der Zeit unter die Lupe, das Forschen, das Sammeln, verfolgt den Weg, wie Gegenstände zu Museumsobjekte werden und was mit Objekten im Museum passiert – in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Die Ausstellung thematisiert das in vier Stationen: Vorbedingungen, Aufbruch, das Terrain und das Zurückkommen und der Umgang mit den Objekten.

Im ersten Raum „Das Entstehen des Blickes“, von dem auch das Bild (vom MEN) stammt, geht es um Delachaux und seine vielfältigen Talente als Maler und Zeichner – etwa von Plankton schon – mit 10 Jahren schon publizierte Delachaux ein erstes Buch mit seinen naturwissenschaftlichen Zeichnungen. Die Karriere als Maler und Kunstlehrer, gleichzeitig als Konservator am Museum wird thematisiert. Fast in Gänze gezeigt wird seine Spielzeug-Sammlung, die er schon als Kind anlegte. Die Präsentation ist sehr interessant: auf den ersten Blick wirkt der Raum wie eine anheimelnde Wunderkammer, eine Gelehrten-Stube. Doch die Vitrineninstallation hat so gar nichts Anheimelndes, sondern etwas Seziererisches und verweist auch schon auf die Perspektive des Forschers. Delachaux hatte auch klare museologisch Vorstellungen: zwei Vitrinen wurden nach seinen Vorgaben rekonstruiert.
Im Raum „Im Abschiedsfieber“ wird mächtig inszeniert: Listen von Delachaux mit Gegenständen, die mitgenommen werden müssen, Briefwechsel und Notizen sind übergroß auf Fahnen appliziert. Damit soll das Programm der Expedition nach Angola nachvollzogen werden. Im Mittelpunkt stand hier vor allem: Lücken füllen.
Im nächsten Raum ist man schon vor Ort – Im Terrain. Das Terrain wird vor allem mit Fotografien inszeniert. Delachaux setzte schon sehr früh auf die Fotografie. In Angola fertigte er und sein Kollegen Thiébaud über 2500 Fotos an, die nun auf zwei Ebenen gezeigt werden – auf einer eher künstlerischen und auf der dokumentarischen.
Im letzten Raum „Das große Auspacken“ sind wir wieder zurück im Museum und schauen uns sozusagen an, was wir alles mitgebracht haben. Das beginnt mit dem Schock: wie und wo bringt man überhaupt die über 3500 gesammelten Objekte unter? Vor allem geht es darum, wie die mitgebrachten Objekte eingeordnet, beschrieben, restauriert und klassifiziert werden – damals wie heute. Eine Installation im Raum widmet sich den Meisterwerken – denen, die bereits vom Kunstmarkt akkzeptiert sind und hohe Preise erzielen (könnten) und denen, die möglicherweise noch Wertsteigerungen erfahren werden.

Die Ausstellung endet mit Fragen – die symptomatisch für viele Sammlungen stehen können – wie: Sind jetzt die Lücken im Museum wirklich gefüllt? Haben die Objekten noch eine Verbindung zu den Ursprungs-Populationen? Sollen wir sie wieder zurückgeben? Wie wird sich der Marktwert entwickeln und was hat das mit dem Museum zu tun?
Im Zentrum steht eine Antwort, die Delachaux häufig in Angola hörte: Das kann ich nicht verkaufen, das gehört mir nicht – quasi die Quintessenz für museale Sammlungen. Die letzte Frage lautet deshalb konsequenterweise: Rückkehr nach Angola?

Es ist eine sehr sympathische Ausstellung, weil sie sich ganz unaufgeregt mit zentralen Fragen im Museum beschäftigt und zugleich sehr beispielhaft argumentiert. Die Ausstellung ist abwechslungsreich inszeniert, ohne überinszeniert zu wirken.

Die Ausstellung begleitet eine Broschüre der Reihe Texpo, ein Begleitbuch wird demnächst erscheinen.

Eis und gelbe Seiten

Geschrieben von am 3. November 2009 10:42

Aufeinandergeschichtete Eiswürfelbehälter empfangen uns am Eingang des Raumes. Gleich darauf erkennen wir das Skelett eines Elches, einen Turm aus gelben Seiten und heimelig flimmern Flammen in aufgetürmten Monitoren – kein Zweifel – wir befinden uns in einer anderen Zeit. In welcher, ist jetzt nicht so wichtig; es geht um früher, als die Menschen noch um Feuer saßen, ihre eigenen Werkzeuge machten und ein komplett anderes Leben lebten. Wir befinden uns im Archäologischem Museum in Hamburg/Helms-Museum in Harburg, in dem seit Mai 2009 die neue Dauerausstellung des Archäologischen Museums gezeigt wird.

Im Erdgeschoss geht es um Archäologisches, im ersten Stock dann mehr um Hamburgensien. Durchbrüche in der Decke schaffen Verbindungen zwischen den Ebenen.
Gegenstände aus unserem Alltag der Gegenwart dienen der Ausstellung als Leitmotiv, als eine Art Türöffner, um sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Das reicht vom Feuer bis zur Glühbirne, vom Hünengrab über Leichenwagen zum Friedhof. Konnte man die Eiswürfelbehälter noch als gelungene Installation schätzen, muten die anderen Inszenierungen zuweilen wie ein dreidimensionales Videospiel an – man drückt und klickt sich durch die Ausstellung, klettert über Pappmaschée(?)-Felsen, stösst ab und zu auch auf Exponate unter Glas, die aus der früheren Zeit stammen, die man hier so anschaulich darstellen möchte (beim Besuch im Sommer 2009 fehlten allerdings noch immer die Objektbeschriftungen).

Unten beschäftigt man sich also mit Dingen wie sich fortbewegen, essen, wohnen und sterben, während man oben eher mit der Gegenwart bzw. jüngeren Vergangenheit mit Schwerpunkt auf Hamburg konfrontiert wird. Als Clou wohl gedacht ist ein überdimensionierter, dreidimensionaler U-Bahnfahrplan von Hamburg, den man sich erlaufen kann. An manchen Stationen ist ein Objekt aufgestellt, das damit in Verbindung steht. Dazu kann man sich eine Erläuterung anhören. Hören sich mehrere Besucherinnen verschiedene Stationen gleichzeitig an, erfüllt den Raum eine unglaubliche Kakophonie.

Im Hamburger Abendblatt heisst es über die Eröffnung: „Alles ist im neuen Museum stark auf die Zielgruppe der Kinder zugeschnitten. Sie sollen die Erlebnislandschaft begehen, die Objekte anfassen, einschalten und entdecken können.“ Dafür hat sich das Museum Experten geholt – die Spiele-Firma Ravensburger. Das Museum als Spiel für große und kleine Kinder, wie es immer so schön heisst?

Nachdem ich in der letzten Zeit schon einige (kulturhistorische) Ausstellungen gesehen habe, die so stark pädagogisch heruntergebrochen waren, dass man sie auch noch verstand, wenn man flüchtig Texte las und an Objekten und Inszenierungen vorbeischlenderte, frage ich mich so langsam, was man als erwachsene Besucherin im Museum eigentlich noch soll.

Das richtet sich auf keinen Fall gegen Interaktives in Museen oder Ausstellungen – das kann auch auf einer sehr gelungene Weise umgesetzt werden, wie etwa die Ausstellung Helvetia-Park im Musée d’Ethnographie in Neuchâtel zeigt. Ich gehe aber auch ins Museum oder in Ausstellungen, um etwas zu erfahren, Dinge zu sehen, die ich mir nicht vorstellen konnte, oder um Dinge anders zu sehen – schlichtweg, um mich mit Fragen zu beschäftigen, die ich mir vorher nicht so gestellt habe – ich suche eine intellektuelle Herausforderung.

In dieser Ausstellung werde ich unterfordert – wie jede erwachsene Besucherin und wahrscheinlich auch größere Kinder. Denn was nehme ich von diesem Besuch mit: Ein Becher sah vor zig-Jahren irgendwie auch schon wie ein Becher aus und das Leben war nicht einfach. Man hat im Prinzip dasselbe gemacht wie heute, nur mit anderen Mitteln. Buddelt man in Hamburg im Boden, findet man etwas Interessantes. Brauche ich für solche Aussagen gleich ein ganzes Museum bzw. eine Ausstellung?
Eine archäologische Erlebniswelt für die ganze Familie, so heisst es im Untertitel auf der Internetseite der Familie. Aber eine Familie besteht nicht nur aus (kleinen) Kindern.

Zur Eröffnung im Hamburger Abendblatt und in der taz.
Im Blog von Frank Lamers erfährt man aus den Kommentaren, dass es einen Urheberrechtstreit um die Konzeption der Ausstellung gab.

Kluger Spass im Museum

Geschrieben von am 29. Oktober 2009 17:34

Helvetia Park heisst die Ausstellung, die zur Zeit im Musée d’Ethnographie in Neuchâtel zu sehen ist. Zu sehen ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, denn die Ausstellung ist im schönsten Sinne des Wortes interaktiv. Bei der Kasse erhält die Besucherin einen kleinen Stapel Münzen, die sinnigerweise Heidi heissen. Mit den Heidis ausgerüstet, begibt man sich in die Museumsräume und sieht sich als erstes einer Schießbude, einem Karussell und einem Autoscooter (ich kenne das unter dem Namen Boxauto) gegenüber. Helvetia Park ist eigentlich ein Jahrmarkt, mit Karussel, Geisterbahn und Wahrsagerin – aber um sich alles genau ansehen zu können, muss man Geld investieren – schon einmal eine erste Erkenntnis.

Es wäre aber nicht das Musée d’Ethnographie, das uns schon so lange und immer wieder mit außergwöhnlich innovativen Ausstellungen beglückt, sich mit einer massgetreuen Umsetzung eines Jahrmarktes im Museum zufrieden geben würde. Nein, die 11 Stände oder Module dienen natürlich als Metaphern und das bekommt man schnell mit.
Es geht in der Ausstellung um das Verständnis von Kultur in der Schweiz in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, darum, wie Kultur funktioniert bzw. nicht funktioniert, um die Verflechtungen von Geld und Kultur, um Verständnis und um Mißverständnisse, um die Beziehung zwischen der sogenannten low und high culture.

Die Stände funktionieren nur auf den ersten Blick ähnlich wie auf dem Jahrmarkt – im Prinzip. Zum Beispiel der Autoscooter: dort möchte man natürlich sofort anfangen, die so hübsch gestylten Autos zu steuern – die kleinen Autos bewegen sich aber nicht so, wie man möchte, auch wenn man am Rand noch so sehr am Rad dreht. Sie drehen sich statt dessen nur autistisch um sich selbst oder in eine bestimmte Richtung. Culture Crash heisst hier das Schlagwort. Dazu möchte ich aus der Presseerklärung des Museums zitieren:

„Als Metapher der ganzen Ausstellung, die für eine dynamische und ständig neu entwickelte Konzeption der verschiedenen interagierenden Felder plädiert, spielt dieser Sektor mit einem Schema des Anthropologen James Clifford, das ganz bestimmte «Auffahrkollisionen», insbesondere zwischen den Welten der Kunst, der Folklore und der Ethnographie, bezeichnet. Aufgrund seines Designs und seiner Fahrweise verkörpert jedes Fahrzeug eine Facette dieses in ständiger Bewegung befindlichen Universums: das Modell «Folklore» ist langsam und schwerfällig, lässt sich aber nicht so leicht von seinem Kurs abbringen, das Modell «Gegenwartskunst» reagiert auf eine Vierteldrehung, ist aber stossempfindlicher, und das Modell «Ethno» bewegt sich ausschliesslich am Pistenrand.“

Nach diesem Prinzip sind die anderen Stände aufgebaut: der Ballwurfstand wird zum Battleground; mit Bällen kann man auf Sündenböcke zielen. Im Karussel fährt man eine Eternal Tour – und begegnet den mehr oder weniger traditionellen Festen in der Schweiz bzw. den Invention of Traditions.

Der Schießstand heisst hier Telldorado – es geht um die feinen Unterschiede und um Geschmack, herunter dekliniert anhand von den immer gleichen Gegenständen, die aber, genauer hingeschaut, doch sehr große Unterschiede aufweisen.

Im Abnormitätenkabinett trifft man in erster Linie auf merkwürdige Museumsobjekte; der Bogen spannt sich von einem Fetisch aus der Elfenbeinküste bis hin zum Hundespielzeug aus der Schweiz.
Wenn man schließlich noch bei der Wahrsagerin vorbeigeschaut hat, bei Madame Helvetia, die einen mit dem sogenannten Expertenwissen aller Couleur überhäuft, möchte man am liebsten nochmals eine Runde drehen – wenn das Heidi money nicht schon alle wäre.

Eine kluge Ausstellung, die aber nicht moralisch wird, sondern immer mit einem Augenzwinkern agiert. Eine Ausstellung, die wirklich Spaß macht, die einen teilweise Überwindung kostet – die Geisterbahn mochte ich noch nie, und auch diese hier hat es in sich. Eine Ausstellung, die mit der Entdeckerfreude der Besucherin spielt und die Erwartungen einfach hinterläuft – die aber immer etwas mit auf den Weg gibt. Eine Ausstellung, die man sich auf gar keinen Fall entgehen lassen sollte!

An Gelegenheiten wird es nicht mangeln: Helevtia-Park ist als dreisprachige Wanderausstellung konzipiert: Bis Mitte Mai ist sie in Neuchâtel zu sehen, danach geht die Ausstellung in der Schweiz auf die Tour. Nächster Ausstellungsort ist dann ab 18. Juni 2010 das Völkerkundemuseum in St. Gallen.

Die Ausstellung entstand im Rahmen des Programms Ménage – culture et politique à table“ der Schweizer Stiftung Pro Helvetia – auch diese Seite lohnt sich anzuschauen – einfach sehr gut und unterhaltsam gemacht. Hier kann man sich auch Presseunterlagen zur Ausstellung herunterladen.

Die schönen Fotos in diesem Beitrag stammen vom Museum.
Einen Ausstellungskatalog gibt es noch nicht, dafür das Heft aus der Reihe Texpo, das einen mit schönen Texten und Bildern auch noch zu Hause erfreut.

Alles über Sonnemann

Geschrieben von am 27. Oktober 2009 13:08

Die Eröffnung der Woche: die Ausstellung
Frankfurts demokratische Moderne und Leopold Sonnemann
Jude – Verleger – Politiker – Mäzen
im historischem museum frankfurt, am 28. Oktober um 18 Uhr.

Der Titel der Ausstellung klingt zwar etwas dröge – doch der Inhalt mutet spannend an: es geht um Leopold Sonnemann (1831-1909), Bürger der Stadt, der Großartiges (nicht nur) für Frankfurt geleistet hat. Immerhin hat die Stadt eine Allee nach ihm benannt. Liest man den Ausstellungsankündigung, so wird klar, dass er sehr viel mehr Denkmäler verdient hätte.

Sonnemann war Begründer der Frankfurter Zeitung, wirkte als Kaufmann, Bankier, Verleger und Politiker. Er zog eigentlich an allen Fäden in der Stadt, ob beim Städel-Verein (den er gegründet hat), beim sozialen Wohnungsbau oder bei Bauprojekten wie Palmengarten oder Alte Oper. Er setzte sich für Pressefreiheit ein, für Arbeitslosenversicherung – für einen demokratischen Staat. Kein Wunder, dass die Nazis die Erinnerung an einen solchen mutigen Mann, noch dazu jüdischen Glaubens, unterbanden: 1943 wurde die noch existierende Frankfurter Zeitung verboten, der Nachlass und damit auch die Erinnerung an ihn zerstört.
Nun erinnert an seinem 100. Todestag die Ausstellung an die Verdienste Sonnemanns – und wartet bestimmt noch mit dem einen oder anderen überraschenden Blick auf Frankfurts Geschichte auf.

Die Ausstellung entstand in einer Kooperation zwischen dem historischen museum frankfurt und dem Jüdischem Museum Frankfurt und ist bis Ende Februar kommenden Jahres zu sehen.

Zum Lesen: Ein Bericht in der Frankfurter Neuen Presse und ein Feature vom Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt.

Aus dem Monte Verità soll der Monte Visione werden

Geschrieben von am 23. Oktober 2009 10:05

Monte Verità – das ist jetzt schon über ein Jahrhundert das Synonym für einen mythischen Ort, auf einem Berg oberhalb von Ascona in der Schweiz, am Lago Maggiore. Dort hinzufahren und eine Weile zu bleiben, war in bestimmten Schichten ein regelrechtes Muss.

Auf dem Gelände sind sie heute noch zu sehen, die Spuren, die die verschiedenen Mythen-MacherInnen hinterlassen haben: Zunächst die LebensreformerInnen um Ida Hoffmann und Henri Oedenkoven, Karl und Gusto Gräser, die um 1900 auf dem Berg eine Kolonie gründen, zunächst sogenannte Laub- und Lufthütten bauen. Bis 1920 harren die GründerInnen aus, bauten weitere Gebäude und eine Naturheilanstalt und zogen viele weitere AnhängerInnen der Naturheilbewegung nach, SchriftstellerInnen, Künstlerinnen, kurz Aussteiger und Aussteigerinnen aus dem bürgerlichen Leben. 1920 geht diese Phase zu Ende, die Anlage zerfällt. Dann wollten KünstlerInnen um Werner Ackermann das Gelände gestalten, was aber nur kurze Zeit gelingt.

1926 tritt der Wuppertaler Bankier und Mäzen Baron Eduard von der Heydt auf den Plan: er lässt von dem bekannten Architekten Emil Fahrenkamp ein Hotel bauen. Mit von der Heydt zieht der internationale Jet Set der gehobeneren Kreise ein – im Grunde wurde der Berg gentrifiziert. Nicht nur die Reichen und Mondänen kamen, sondern etwa auch die Kunstinteressierte wie der französische Museologe Georges Henri Rivière, der 1933 im Hotel weilte und begeistert von den vielen Kunstwerken zeitgenössicher Künstler berichtete. 1934 wird das Hotel geschlossen, der Zweite Weltkrieg verhindert weiteres. Nach dem Tod von von der Heydt geht das Terrain an den Kanton Tessin. Seit 1989 veranstaltet die ETH Zürich im Hotel Kongresse.

1978 wird der Berg wieder entdeckt – vom Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann. Mit der Ausstellung „Mammelle delle verità“, die auch an verschiedenen Orten in der Schweiz und in Deutschland gezeigt wurde, bringt er wieder Schwung in die Mythenmaschinerie. Die Ausstellung war dann fest in der Casa Anatta auf dem Monte Veritá beheimatet. Nun ist sie bis voraussichtlich 2012 geschlossen. Die Stiftung Monte Verità plant zusammen mit dem Kantonalamt für Denkmalschutz ein großes Restaurierungs- und Umgestaltungsprojekt für Museum und Gelände. Schon umgesetzt wurden verschiedene Installationen. Ebenso gibt es ein japanischen Teehaus, in dem Teezeremonien angeboten werden. In einer Lichthütte aus der anfangszeit stellt die Stiftung die bisherige Geschichte kurz vor und lädt die BesucherInnen dazu ein, eigene Ideen für die künftige Gestaltung und Nutzung des Parks und des Museums zu benennen damit aus dem Berg der Wahrheit der Berg der Visionen werden kann.

Noch zwei Literaturtipps (weitere sind auf wikipedia zu finden). Unverzichtbar ist das Katalogbuch zur Ausstellung von Harald Szeemann: Monte Verità. Berg der Wahrheit. Lokale Anthropologie als Beitrag zur Wiederentdeckung einer neuzeitlichen sakralen Topographie. Agentur für geistige Gastarbeit, Harald Szeemann, Civitanova Marche und Tegna, und Electa Editrice, Milano 1978. Hier kann man einen Artikel von Erich Mühsam über seine Zeit auf dem Monte Verità lesen.
Wer deftige Anekdoten möchte und ausführliche Erzählungen über den Alltag, der sollte das Buch von Robert Landmann lesen: Ascona – Monte Verità. Die Geschichte eines Berges, Ascona Pancaldi Verlag 1930. 2000 neu herausgegeben im Schweizer Verlag Huber Frauenfeld . Hinter Landmann verbirgt sich übrigens der Künstler Werner Ackermann.

Fundstück

Geschrieben von am 19. Oktober 2009 11:13

Vor Jahren einmal im Musée national d’art moderne im Centre Pompidou in Paris gesehen, fotografiert und in der Fotokiste wiedergefunden.

Figurinen XIII

Geschrieben von am 12. Oktober 2009 14:59

Kleines Waldmuseum steht an der offenen Hütte geschrieben und wer eintritt, kann ein Sammelsurium von Gerätschaften, Bildern und Holzstücken bestaunen, das die Bedeutung des Holzes für die kleine Gemeinde Storsjö wiedergibt. In der Ecke sitzt eine Figurine – mit einem geschnitzten Holzkopf natürlich. Ein wirklich kurzweiliger Museumsbesuch!


Im Gammelgard des Herrn Zorn

Geschrieben von am 28. September 2009 10:32

Das ist der ehemalige Eingang eines ungewöhnlichen Freilichtmuseums: sein Begründer Anders Zorn (1860-1920)war kein Museumsfachmann oder Volkskundler, sondern einer der bekanntesten Künstler Schwedens, der schon zu Lebzeiten sehr erfolgreich war. Zorn ist berühmt für seine Landschaftsbilder, Porträts, Akte und Druckgraphik – die war vor einiger Zeit auch in Hamburg zu sehen. Heute präsentiert das ZornMuseet vor allem seine Werke, aber auch Teile seiner Kunstsammlung.

Zorn reiste viel in Europa umher, identifizierte sich aber vor allem mit seiner Heimatregion Dalarna. Ihre spezifische ländliche Kultur wollte er seinen Mitmenschen ans Herz legen. Dafür gründete er 1914 in Mora ein Museum. Doch nicht alle seine Vorhaben waren verwirklicht, als er 1920 starb. Seine Frau Emma Zorn setzte sein Anliegen weiter um.

Zorn wollte vor allem die für die Region typischen Blockhäuser vor ihrem Verfall retten. Mit der Gründung von Zorns Gammelgård steht er natürlich in bester schwedischer Tradition: Artur Hazelius hatte 1891 Skansen (Als Annex des Nordiska Museet in Stockholm) gegründet, das zum Vorbild aller Freilichtmuseen in Europa wurde.
Zorn ließ die für Dalarna typischen Gebäude aus Holzbalken wie Schuppen, Kuhstall, Scheune oder Wohngebäude ins Museum translozieren. Die Gebäude sind wohl nicht immer originalgetreu aufgestellt, wie man es aus der etwas kargen deutschen Beschreibung entnehmen kann: Zorn ging es vor allem darum zu vermitteln, wie in früheren Jahrhunderten in Dalarna gewohnt und gearbeitet wurde.

So ließ er zwischen 1916 und 1918 einen Hof aufstellen, wie er in Mora typisch war: die Gebäude wie Scheune, Schuppen oder Handwerkshaus formen einen Innenhof. Sie stammen aus unterschiedlichen Zeiten; einige Gebäude gehen auf das 14. Jahrhundert zurück.

In einige Gebäude dieses Hofes kann man hineinsehen, in andere hineingehen und Wohnarrangements anschauen. Besonders interessant ist die Bergkarlascheune: hier sind Objektarrangements zu sehen, die auf Zorn zurückgehen. Zorn sammelte nicht nur Häuser, sondern stellte hier so etwas wie ein Inventar der ländlichen Gesellschaft auf. Hier zählt vor allem die Masse – und die Vielfalt.

In späteren Jahren wurde der Hof noch um weiteren Gebäudekomplexe ergänzt – wie Sennhütten, Handwerkshäuser und Bootshäuser.

Zorns Gammelgård steht für das Bildungs- und Sendungsbewusstsein eines engagierten Paares, das Kultur und Kunsthandwerk bewahrt sehen wollte – nach welchen Kriterien, konnte ich nicht herausfinden, da die Informationen auf englisch oder deutsch eher spärlich sind. Es steht aber mit Sicherheit auch für die Erfindung von Traditionen, als Museum im Museum – wie es die meisten musealen Institutionen, die um diese Zeit gegründet wurde, tun. Zorns Gammelgård ist auf jeden Fall einen Besuch wert, wirkt es doch durch seine Kargheit – an Informationen, an living history oder sonstigen events sehr eindrucksvoll.

Politisch ausstellen

Geschrieben von am 22. September 2009 09:53

„Politisch schwer korrekt“ nennt die NZ-Online die Ausstellung El Dorado. Über das Versprechen der Menschenrechte, die letzte Woche in der Kunsthalle Nürnberg eröffnet wurde. Die Ausstellung findet im Rahmen des Themenschwerpunkts Alles was recht ist! Menschenrechte des KunstKulturQuartier statt.

Zu sehen sind Werke von 16 KünstlerInnen aus verschiedenen Ländern. Diese nehmen sich mit ihren eigenen Stilmitteln dem Thema an, prangern nicht plakativ Menschenrechtsverletzungen an, sondern nähern sich eher subtil von verschiedenen Seiten an. Dazu heisst es auf der Ausstellungsseite:
„Gemeinsam ist allen Positionen der Ausstellung, dass sie nicht versuchen, Konflikte zu illustrieren oder Menschenrechtsverletzungen zu visualisieren. Vielmehr bieten sie durch ihren Reichtum an psychologischen und formalen Schattierungen einen neuen Zugang zum Thema.“

Videos, Installationen, Fotoarbeiten oder Skulpturen erklären sich zum Teil aber nicht von selbst. So empfängt die Besucherin die wuchtigen, blockartige Installation „The Trial of Henry Kissinger“ von Eva Grubinger, die die Architektur des Internationalen Gerichtshofs von Den Haag zitiert. Man darf auch ausprobieren: die Gruppe U.R.A./Filoart setzt sich mit der allgegenwärtigen Videoüberwachung auseinander. In ihrer Installation kann man sich eine Art verkabelte Kopfhörer aufsetzen, die bewirken, dass man von Überwachungskameras nicht mehr gesehen wird.

Subtiler wird es hier: Eigentlich schön anzusehen sind die Tintenstrahldrucke von ÖzlemGünyol/Mustafa Kunt, die man mit weißen Handschuhen ausgerüstet, in einem großen Buch anschauen kann. Sie zeigen verschiedene graphische Muster – die Vergrößerungen von Wasserzeichen auf Ausweisen.

Oliver Boberg überzeugt mit seinen fotografischen Annäherungen. Er hat Miniatur-Slums gebaut und diese dann sehr ästhetisch in Szene gesetzt.

Die Räume sind insgesamt großzügig inszeniert. Da sich manches nicht von selbst erklärt, ist man mit einem Flyer gut ausgerüstet. Die Gruppenausstellung lohnt sich: sie ist politisch, kommt aber nicht mit der moralischen Keule, sie bietet viele Annäherungen, die kurzweilig sind.

Schwer korrekt ist auch der Katalog: er erscheint auf englisch und auf deutsch für 24 Euro.
Die leider etwas dunklen Bilder sind von der Eröffnung.

Archiv

Noch was

Archiv